Widerstand in Paris gegen massive Polizeigewalt
Adama Traoré starb im Juli 2016 in der Bullenstation von Beaumont-sur-Oise, einem Vorort von Paris in der so genannten Banlieue. Er war festgenommen worden, nachdem er sich in eine rassistische Polizeikontrolle eingemischt hatte. Die Todesursache wurde verschleiert. Erst nach Protesten und einer zweiten, auf Druck der Familie durchgeführten Autopsie wird öffentlich, dass er erstickt ist, erdrückt vom Gewicht dreier Flics (französische Polizisten).
Auch Théo hatte letzten Februar interveniert, als Jugendliche seines Viertels von Cops schikaniert worden waren. Die Bullen vergewaltigten ihn brutal mit einem Schlagstock. Später sprechen sie von einer „zufälligen Vergewaltigung“.
Solidarität, Aufruhr, Kriminalisierung
In beiden Fällen folgen unmittelbar Unruhen in Aulnay-sous-Bois bzw. Beaumont, den Hochhaussiedlungen, aus denen die beiden kommen. Die Bewohner_innen solidarisieren sich mit den Familien von Théo und Adama. Ungewöhnlich ist, dass viele, die an Demonstrationen, Protest- und Trauermärschen teilnehmen, sich nicht von militanten Aktionsformen distanzieren. Bewohner_innen und Protestierende schützen und unterstützen einander gegen die heftige Repression und Polizeigewalt. Die Viertel werden von Bullen belagert und abgeriegelt. Bürgerliche Medien berichten umfassend und kritisch, die meisten schwenken letztlich aber auf die Polizei- und Regierungsversion ein. Die Medien, wie auch Innenminister Bernard Cazeneuve, finden kein Wort des Bedauerns und stehen voll hinter den Bullen. Sie kriminalisieren die Protestierenden. Angehörige, die „Wahrheit und Gerechtigkeit“ einfordern, erfahren enorme Repression. Assa Traoré, Adamas Schwester, wird wegen Verleumdung verklagt; Youssouf und Bagui, seine Brüder, werden eingesperrt und Monate später zu Gefängnisstrafen verurteilt; Assa spricht von einer „unerträglichen Rache der Staatsanwaltschaft“. Als Bagui bei seiner ersten Festnahme nach dem Grund fragt, antworten die Bullen: „Damit deine Schwester aufhört, so viel Lärm zu machen.“
Ende Februar wurde Bagui nochmals verhaftet. Die Anklage lautet, er habe letzten Sommer auf einer Demo anlässlich des gewaltsamen Todes seines Bruders auf Cops geschossen. Zum Zeitpunkt, zu dem dieser Artikel entsteht, wartet Bagui, der in Hungerstreik getreten ist, auf seinen Prozess am 27. März dieses Jahres. Er weist die Vorwürfe zurück und fordert weiterhin Gerechtigkeit für Adama.
Verbannung, Rassismus, Straflosigkeit
„Banlieue“ meint im Wortsinn Ort der Verbannung. Damals wie heute werden Unerwünschte dorthin verbannt. Nicht nur dort offenbart sich die Kontinuität kolonialer Verhältnisse. Adama und Théo waren weder die ersten Opfer von (rassistischer) Polizeigewalt noch sind sie die einzigen. 1961 wurden bei einer Demonstration in Paris für die Unabhängigkeit Algeriens hunderte Algerier_innen niedergemetzelt und viele in der Seine ertränkt. Heute sind rassistische Schikanen und Polizeigewalt für viele Sans-Papiers, Personen mit muslimischem Hintergrund und People of Color eine allgegenwärtige Bedrohung. Wie schon 1961 bleiben die Verbrechen der Polizei – von wenigen Ausnahmen einmal abgesehen – folgenlos.
Trotz aller offiziellen Beschwichtigungsversuche greifen die Unruhen aufs Zentrum von Paris und ganz Frankreich über. Seit Februar streiken Schüler_innen in mehreren Gymnasien der Pariser Region als Reaktion auf die Vergewaltigung von Théo. Wieder ist Repression die Antwort: Schüler_innen werden geschlagen und festgenommen. Die Proteste richten sich auch gegen den laufend verlängerten Ausnahmezustand, das erweiterte Notwehrrecht der Flics und die Faschisierung der Gesellschaft. Die Familien der Opfer verbündeten sich und initiierten gemeinsam die beeindruckende Demonstration vom 19. März dieses Jahres.
Paris, Wien
Bewohner_innen von Paris sind entschlossen, rassistische Polizeigewalt nicht länger hinzunehmen. Wie in den USA die Black Lives Matter-Bewegung setzen sie dem systematischen und oft tödlichen Ausschluss aus der Gesellschaft ihren Widerstand entgegen. Die hyper-sichtbaren Polizeikontrollen von People of Color als Ausdruck der Grenzregime auf den Straßen Wiens und der systematische Ausschluss von Nicht-Mehrheitsösterreicher_innen, sind Ausdruck derselben rassistischen Logik. Doch Widerstand dagegen ist in Wien kaum wahrnehmbar.
Aus dem Schwerpunkt, den wir für die malmoe gestaltet haben.