Interview für die Malmoe Juni 2016
„Solidarität zeigen mit Dealer_innen“
Gefährliches Zusammendenken von Stadtentwicklung, Migrationspolitik und Drogen
Gras für die einen – Abschiebung für die anderen? Der im Mai gegründete Zusammenschluss „Kieberei, was geht? Initiative gegen Polizei auf unseren Straßen“ setzt sich mit der herrschenden Drogenpolitik auseinander und kritisiert die Sündenbock-Funktion, in die Drogendealer_innen von Medien und Politik gedrängt werden. Das und vieles mehr erklären sie im folgenden Interview.
Malmoe: Am 1. Mai 2016 seid ihr mit einem Flugblatt zum ersten Mal an die Öffentlichkeit gegangen. An wen richtet sich eure Initiative?
Initiative Kieberei, was geht?: Wir wollen uns solidarisch zeigen mit Dealer_innen und all jenen, die von der Polizei täglich und nicht nur entlang des Gürtels schikaniert, kontrolliert oder festgenommen werden, und wir wollen unterstützende Interventionsformen entwickeln sowie kompakte Rechtshilfeinformationen zur Verfügung stellen. Zeug_innen von Polizeikontrollen und Racist Profiling sagen wir: Geht nicht einfach vorbei, sondern schaut hin, bleibt stehen, mischt euch ein, fragt die betroffenen Personen, ob sie Unterstützung brauchen. Eine weitere Gruppe, die wir ansprechen wollen, sind Anrainer_innen. Viele sind mit der massiven Polizeipräsenz in ihrem Grätzl überhaupt nicht einverstanden, auch nicht mit der willkürlichen Vertreibung unerwünschter Gruppen oder Jugendlicher. Auch jene, die mehr oder weniger aktiv Teil der stattfindenden Gentrifizierung sind, wollen wir ansprechen und in die Verantwortung nehmen. Schließlich wollen wir uns in den medialen und politischen Diskurs einmischen und sagen: Wir lassen uns die rassistischen Politiken und die Polizei auf unseren Straßen, die unter dem Deckmantel von Sicherheit und Sauberkeit daherkommen, nicht länger gefallen.
Malmoe: In eurem Flyer kritisiert ihr studentisch-bildungsbürgerliche DrogenkonsumentInnen dafür, zwar beim Gemüsekonsum, nicht aber bei Graseinkauf auf „Fair Trade“ zu achten.
Initiative Kieberei, was geht?: Die Leute, die ihre Drogen entlang des Gürtels oder an anderen Orten Wiens kaufen, die wegen Vertreibung und Gentrifizierung ständig wechseln, denken oft nicht an die Arbeitsbedingungen ihrer Straßendealer_innen. Häufig sind das Asylwerber_innen oder Sans Papiers, denen der Zugang zu legaler Lohnarbeit verwehrt ist. Um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, bleiben ihnen informalisierte und illegalisierte Tätigkeiten. Dealer_in ist eine der wenigen und zudem männlich* dominierten Jobmöglichkeiten, die bleiben. Die Bedingungen: Niedrigster Lohn, anstrengende und stressige Arbeit und hohes Risiko. Dealer_innen ohne Papiere riskieren lange Gefängnisstrafen, Nachteile im Asylverfahren und ihre Abschiebung. Die im Juni in Kraft tretende Verschärfung des Suchtmittelgesetzes trifft Straßendealer_innen, nicht Konsument_innen. Dass Konsument_innen ihre Substanzen relativ bequem und sicher einkaufen und manche davon sich gleichzeitig über die Sichtbarkeit von Drogenbusiness und Drogennutzer_innen beschweren, ist absurd. Die Konsument_innen könnten ihre Privilegien dafür einsetzen, das Risiko, dem die Dealer_innen ausgesetzt sind, zu vermindern.
Malmoe: Wie schätzt ihr die Rolle der rot-grünen Stadtregierung in Wien ein? Wie gehen andere österreichische Städte mit der Thematik um?
Initiative Kieberei, was geht?: Die Stadt Wien betreibt seit Jahren eine Säuberungspolitik, mit der unerwünschte Gruppen von zentralen öffentlichen Plätzen vertrieben werden. Ein prominentes Beispiel dafür ist die Karlsplatz-Renovierung und die Vertreibung der dortigen Drogenszene. Das Problem von kurzsichtiger „Nicht-vor-meiner-Nase“-Politik ist, dass es lediglich zu einer Verschiebung in andere Stadtteile kommt. Statt strukturelle Probleme wie mangelnde Arbeitsmöglichkeiten, überteuerter Wohnraum, überlastetes Gesundheitssystem, etc. zu bearbeiten, wird eine Angststimmug erzeugt. Diese wird dann noch dazu rassistisch ausgelegt und präsentiert marginalisierte Personen als Sündenböcke.
Thomas Blimlinger, der Grüne Bezirksvorsteher Neubaus, richtete sich im Februar mit einem Brief an alle Haushalte, schürte Ängste der „besorgten Bürger_innen“ und stimmte ein in den aus mehreren Richtungen erfolgten Ruf nach mehr Polizei. Dass die massive Polizeipräsenz zu mehr Sicherheitsgefühl beiträgt, wagen wir aber zu bezweifeln.
Malmoe: Welche Rolle spielen die Medien?
Initiative Kieberei, was geht?: Es existieren kaum Beiträge, die ohne das Narrativ vom 16. Bezirk als Gefahrenzone, Geflüchteten als kriminelle und gefährliche Drogendealer* und der Polizei als Akteurin in der Wiederherstellung von Sicherheit auskommen. Eine kritische Sichtweise auf rassistische Polizeikontrollen und die fast permanente Polizeipräsenz am Gürtel fehlen. Es ist erstaunlich, wie viele Medien – auch so genannte Qualitätsmedien – Meldungen der Polizei direkt, wörtlich und ohne weitere Recherche übernehmen. Manche Darstellungen von Journalist_innen, die auf stereotype Weise von vor Ort berichten, können als Klassenkampf von oben gedeutet werden. Medien sind einerseits aktiv an der Herstellung eines Klimas rassistischer Hetze beteiligt, andererseits an der Rechtfertigung von immer mehr Polizeipräsenz und -repression an immer mehr Orten in Wien.
Malmoe: Welche drogenpolitischen Perspektiven würdet ihr favorisieren?
Initiative Kieberei, was geht?: Was sich rund um den Gürtel abspielt, ist ein Beispiel dafür, wie Drogenpolitik, Stadtentwicklung und Asyl-/Migrationspolitiken ineinandergreifen. Das müsste sich auch in den Entwicklungen widerspiegeln, die wir uns wünschen – bloß umgekehrt. Es reicht also nicht, Drogenhandel und -konsum zu entkriminalisieren, so aber vielleicht neue Ausschlüsse zu schaffen. Es braucht auch die Anerkennung aller Menschen, die hier sind und ein Bewusstsein dafür, dass die Städte für alle Menschen gemacht sind, die in ihnen leben.