2016: Neues Sicherheitspolizeigesetz in Österreich

Auf dem Weg zum Polizeistaat

Im Juni 2016 soll das neue Polizeiliche Staatsschutzgesetz in Kraft treten. Das Rechtsinfokollektiv erklärt und kommentiert für MALMOE den aktuellen Gesetzesentwurf

Seit den Anschlägen in Paris im November 2015 werden die Forderungen nach einer Kompetenzerweiterung für die Sicherheitsbehörden wieder lauter, doch Österreich arbeitet schon länger daran. Im März 2015 präsentierten das Innenministerium und das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) den Entwurf eines „Polizeilichen Staatsschutzgesetzes“ (PStSG), mit dem die Kompetenzen des Verfassungsschutzes neu und vor allem konkreter geregelt werden sollen. Bis jetzt sind diese lediglich im Sicherheitspolizeigesetz (SPG) festgeschrieben, das sich nur zum Teil auf den Staatsschutz und seine Kompetenzen bezieht. Erstmals soll es damit eine eigene gesetzliche Grundlage für die Befugnisse des Verfassungsschutzes geben, die auch eine wesentliche Ausweitung seiner Kompetenzen bedeuten würde. Mittlerweile hat der Entwurf den Ministerrat passiert, Ende November einigte (1) sich die Regierung noch auf einzelne Änderungen, die das Gesetz ein wenig entschärfen sollen. Im Jänner soll es im Nationalrat beschlossen werden.

What is it good for?

Das Staatsschutzgesetz wird als notwendige und zielführende Antwort auf die weiterhin drohende Gefahr von Terroranschlägen diskutiert. Dass die Rechtslage in Frankreich bereits vor den Attentaten weitreichende Überwachung ermöglicht hatte, dass Instrumente, die ursprünglich für den „Kampf gegen den Terror“ gedacht waren, schlussendlich auch für andere Zwecke eingesetzt werden, wird wiederholt verschwiegen. Auch in Österreich verhält es sich ähnlich. Ein Beispiel ist §278b, „Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung“. So wurde dem antifaschistischen Bündnis NOWKR im April 2015 mit einer Anklage wegen §278b StGB gedroht, eine Maßnahme, die klar als Einschüchterungs- und Diskreditierungstaktik zu verstehen ist. Eine parlamentarische Anfrage aus dem Jahr 2013 zeigt außerdem, dass zwischen 2008 und 2012 363 Verfahren nach dieser Bestimmung eingestellt wurden und es nur in zehn Fällen überhaupt zur Anklage kam. Der Paragraph wird offensichtlich primär zu Überwachungszwecken eingesetzt, die großen „Ermittlungserfolge“ werden durch erhöhte Strafrahmen und erweiterte Überwachungskompetenzen jedenfalls nicht erzielt. Was die Tätigkeit des Verfassungsschutzes angeht, weigert sich das Innenministerium seit 2011, genauere Daten über das Ausmaß der Überwachung herauszugeben. Grund sei der „hohe Verwaltungsaufwand“. Die geplante Aufwertung des Verfassungsschutzes ist daher nur der nächste logische Schritt des Ausbaus des staatlichen Repressions- und Überwachungsapparates.

Die zentrale Kompetenz des BVT ist die Erweiterte Gefahrenerforschung, die bereits im Jahr 2000 eingeführt wurde.(2) Das bedeutet, dass die Behörden befugt sind zu ermitteln, noch bevor ein konkreter Tatverdacht vorliegt, während kriminalpolizeilich erst bei konkretem Tatverdacht, und im Regelfall nur mit gerichtlicher Ermächtigung, Ermittlungsmaßnahmen gesetzt werden dürfen. Das PStSG erweitert die Handlungsspielräume der Polizei bzw. des Verfassungsschutzes noch zusätzlich.

In Bezug auf die Überwachung von Gruppen soll die alte Rechtslage übernommen werden. Bei Verdacht, dass aufgrund bestehender Gruppenstrukturen oder zu erwartender Entwicklungen in deren Umfeld damit zu rechnen ist, dass es zu „mit schwerer Gefahr für die öffentliche Sicherheit verbundener Kriminalität“ kommt, darf ermittelt werden. Neu geregelt ist die erweiterte Gefahrenerforschung von Einzelpersonen: Die Behörden sind befugt zu ermitteln, sofern aus ihrer Perspektive ein begründeter Gefahrenverdacht auf einen „verfassungsgefährdenden Angriff“ in der Zukunft besteht. Was ein solcher Angriff ist, wird mittels Aufzählung verschiedener Straftatbestände definiert. Bei manchen der Tatbestände wird zusätzlich vorausgesetzt, dass sie „religiös oder weltanschaulich motiviert“ begangen werden. Insgesamt umfasst die Liste etwa 100 Tatbestände, die zu Ermittlungsmaßnahmen nach dem PStSG ermächtigen, sobald nur der Verdacht vorliegt, eine Person könnte sie in Zukunft begehen. (siehe Infobox 1)

In der ersten Fassung des Entwurfes waren auch die Störung bzw. Sprengung einer Versammlung, die typischerweise gegen linke Demonstrant_innen erhoben werden, in der Aufzählung enthalten und als potentiell „verfassungsgefährdend“ eingestuft. Aufrufe zur Verhinderung von rechten Demonstrationen hätten etwa bereits als Grundlage für einen solchen Verdacht dienen können. Nach einer Überarbeitung der Regierungsvorlage wurden diese jedoch gestrichen. Es bleibt die Tatsache, dass bei einem bloßen Verdacht auf ein riesiges Repertoire an Überwachungsmaßnahmen zurückgegriffen werden kann.

Undercover, auch privat: alte und neue Befugnisse

Im Anwendungsbereich des PStSG kann der Verfassungsschutz auf zahlreiche Ermittlungsmethoden zurückgreifen (siehe Infobox 2), die teilweise auch neu geschaffen werden sollen. Bedenklich ist, dass es im Gegensatz zu kriminalpolizeilichen Ermittlungen keines richterlichen oder staatsanwaltschaftlichen Beschlusses, sondern lediglich einer Ermächtigung des neu zu schaffenden Rechtsschutz-Senats bedarf. Er soll aus drei Personen bestehen, wovon eine zumindest 10 Jahre Erfahrung als Richter_in oder Staatsanwält_in haben muss. Dieser ist soll im Innenministeriums angesiedelt sein und untersteht somit derselben Behörde wie der Verfassungsschutz. Inwiefern hierbei noch von einer unabhängigen Kontrollinstanz die Rede sein kann, ist mehr als fraglich. Die Ermächtigung wird zunächst auf maximal sechs Monate erteilt, Verlängerungen sind unbeschränkt möglich.

Viele der Ermittlungsmethoden erlauben weitreichende Datenerhebungen, darunter fallen zum Beispiel: Namen, Aliasnamen, Geburtsdatum, Geburtsort, Beruf oder die Lebensverhältnisse einer Person. Die ermittelten Daten können auch über Kontakt- und Begleitpersonen erhoben werden, sofern der Verfassungsschutz eine „nicht bloß zufällige“ Verbindung zwischen den Personen sieht. Somit besteht quasi eine Ermächtigung, das ganze Umfeld einer Person, gegen die selbst nur ein vager Verdacht besteht, zu überwachen. Teilweise können auch erkennungsdienstliche Daten (also Fingerabdrücke und Foto) erhoben werden, was bei Begleit- und Kontaktpersonen nicht zulässig ist.

Nach Ablauf der Zeit, für die der Rechtsschutz-Senat die Ermächtigung erteilt hat, sind die ermittelten Daten von der Behörde zu löschen, sofern kein Anlass für weitere Ermittlungen besteht. Wenn zu erwarten ist, dass es erneut Anlass zu einer erweiterten Gefahrenerforschung geben wird (insbesondere „Aktivitäten im Ausland“), kann die Löschung unterbleiben, spätestens müssen die Daten aber nach 6 Jahren gelöscht werden. Ob dieser Pflicht Folge geleistet wird, bleibt jedoch fraglich und ist nicht überprüfbar.

Besonders zu kritisieren sind verdeckte Ermittlungen. Dazu können Kriminalbeamt_innen wie auch Privatpersonen, sogenannte „Vertrauenspersonen“, eingesetzt werden, wenn „die erweiterte Gefahrenerforschung durch den Einsatz anderer Ermittlungsmaßnahmen aussichtslos wäre“. Über die Vertrauenspersonen wird bei der Polizei eine Datenbank geführt. Die Ermittler_innen leben oft über lange Zeiträume hinweg in der zu beobachtenden Szene. Es gibt immer wieder Fälle, in denen es zu intimen Beziehungen zwischen Ermittler_innen und Betroffenen kommt. Da die Betroffenen nicht wissen, dass sie von einer Amtshandlung betroffen sind, ist es ihnen unmöglich, sich mit rechtlichen Mitteln dagegen zur Wehr zu setzen. Derartige Maßnahmen sind unter anderem deswegen äußerst bedenklich, weil der Rechtsschutz derart erschwert ist.(3)

Im Zuge der Reform soll auch eine Rechtsgrundlage für den Einsatz von Körperkameras geschaffen werden. Polizist_innen würden demnach Kameras an der Uniform tragen, die sie selbst (nach Ankündigung) einschalten dürfen. Damit sollen die Geschehnisse, die sich im Zuge einer Amtshandlung ereignen, dokumentiert werden. Das Material darf laut Entwurf nur zur Verfolgung dieser strafbaren Handlungen verwendet werden. Das erhobene Videomaterial ist verschlüsselt aufzubewahren und Zugriffe darauf sind zu protokollieren. Häufig wird der Schutz vor Polizeigewalt als Argument für die Einführung von Körperkameras vorgebracht. Da aber die amtshandelnden Beamt_innen selbst entscheiden, wann sie die Kameras einschalten, und auch das Material von ihnen aufbewahrt wird, ist es fraglich, ob dieses jemals als Beweismittel in Verfahren gegen Polizist_innen verwendet werden wird. Insofern sind Körperkameras eher als eine zusätzliche Überwachungsmöglichkeit zu sehen.

Das „unabhängige“ Rechtsschutztrio

Der Rechtsschutz-Senat ist über die Ermittlungen des Bundesamtes zu informieren, die bisher geplanten neun Landesämter wurden gestrichen. Diese Informationspflicht entfällt jedoch, wenn die ermittelnden Beamt_innen der Ansicht sind, die Sicherheit von Zeug_innen wäre durch das Bekanntwerden ihrer persönlichen Daten gefährdet. Dies kann in jedem Fall zumindest zu einer Verzögerung führen, da erst geprüft werden kann/muss, ob eine etwaige Sicherheitsgefährdung vorliegen könnte. Nach Ablauf der Zeit, für die die Ermächtigung erteilt wurde, ist die betroffene Person über die Ermittlung zu informieren. Da Betroffene in der Regel nichts von den Ermittlungen erfahren sollen, scheint es fraglich, ob diese Informationspflicht tatsächlich eingehalten wird. Grundsätzlich gibt es die Möglichkeit, sich über Ermittlungsmaßnahmen zu beschweren – wie bereits erwähnt ist es jedoch unwahrscheinlich, dass man als betroffene Person überhaupt von der Überwachung erfährt. Außerdem gilt in Österreich kein Beweisverwertungsverbot, das bedeutet, dass grundsätzlich auch rechtswidrig beschaffte Daten in Gerichtsverfahren verwendet werden dürfen.

Letztlich ist das PStSG ein klares Bekenntnis zu mehr Überwachung und mehr Repression. Geheimdienstliche Tätigkeiten sind per se schwer zu kontrollieren. Auch ob der Entwurf schon bestehende Praxen kodifiziert, ist schwer zu überprüfen. Die Möglichkeiten, juristisch gegen Überwachungsmaßnahmen vorzugehen, sind sehr begrenzt. Um sich vor staatlicher Repression zu schützen, bleiben bewährte Mittel: Verschlüsselung von E-Mails und Festplatten, ein vorsichtiger Umgang mit Handys und sozialen Netzwerken sowie konsequente Aussageverweigerung.

(1) Die Änderungen sind zu Redaktionsschluss nur teilweise bekannt, insbesondere sollen die Tatbestände, die einen verfassungsgefärdenden Angriff darstellen, verändert worden sein.
(2) Damals aber nur zur Beobachtung von Gruppierungen, die Ausforschung von Einzelpersonen kam 2012 dazu. BGBl 13/2012.
(3) Zur Problematik des Rechtsschutzes bei geheimen Ermittlungen im Verhältnis zu den Anforderungen des Art 13 EMRK siehe etwa Klaushofer, Strukturfragen der Rechtsschutzbeauftragten. Forschungen aus Staat und Recht (2012) 404ff; Raschhofer, in Zankl, Auf dem Weg zum Überwachungsstaat? Neue Überwachungsmaßnahmen im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie (2009) 113.

Text aus der malmoe
autorIn und feedback : rechtsinfokollektiv.at